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Sorge um Große Diesdorfer Straße

Wachsender Leerstand könnte Spirale auslösen


Die Große Diesdorfer Straße ist das Stadtteilzentrum von Stadtfeld. Doch so richtig Spaß macht der Aufenthalt an dieser Straße nicht. Ein Abgang der Gewerbemieter ist zu beobachten. Doreen Richter sprach mit Geschäftsstraßenmanagerin Franziska Briese über diese Entwicklung.

Man hat den Eindruck, leere Schaufenster häufen sich an der Großen Diesdorfer Straße. Welche Geschäftsaufgaben sind in der letzten Zeit dazu gekommen?
Franziska Briese: Seit einer Weile kann ich mit großem Bedauern nur dabei zusehen, wie Stück für Stück immer mehr Geschäfte schließen und auch nicht nachbesetzt werden. Vor allem in dem ausgewiesenen Zentrenbereich – der Abschnitt zwischen Schenkendorfstraße und Annastraße – hat sich diese unschöne Entwicklung in jüngster Zeit deutlich sichtbar vollzogen. „Snoodls“ hat seine Filiale geschlossen, ein Bäcker, die Fleischerei Altmärker, zwei Blumenläden. Alles Frequenzbringer, die nun hier fehlen.

Wie viele leere Geschäfte sind im Kernbereich Große Diesdorfer Straße insgesamt zu finden?
Rund zehn Ladengeschäfte stehen sichtbar leer. Einige kamen erst kürzlich hinzu, andere bestehen schon länger. Die ehemalige Schleckerfiliale und der direkt angrenzende Friseur sind schon sehr lange ungenutzt – von kurzzeitigen Vorhaben mal abgesehen – und auch in der Schenkendorfstraße hin zur Großen Diesdorfer Straße stehen zwei attraktive Ladenflächen leer. Hier spricht man von strukturellem Leerstand.

Woher kommt der Leerzug, was sind die Ursachen?
Die Ursachen sind ganz vielfältig. Für die Große Diesdorfer Straße treffen ein paar Dinge ganz konkret zu, die auch die Händler so benennen. An erster Stelle ist der Wegbruch zwei sehr wichtiger Ankermieter zu nennen. Die Schließung der Sparkasse und der Rossmann-Filiale zieht seither eine deutlich geringere Frequentierung nach sich. Die Umnutzung der Gewerbeflächen der Sparkasse zu Wohnraum hat verhindert, dass sich neues Gewerbe hier ansiedelt. Außerdem lädt die fehlende Aufenthaltsqualität hier nicht zum Verweilen ein. Auf der „Diesdorfer“ will man immer nur „schnell hin, schnell weg“, kurz umsteigen, fix queren oder „schnell was besorgen“. Aber bleiben tut niemand. Mal gemütlich sitzen und ein Eis essen, geht hier nicht. Ein Stadtteilzentrum erfüllt neben der Versorgung auch immer die Funktion der Kommunikation und Begegnung. Das ist hier nicht möglich. Es ist zu laut, zu eng und zu unattraktiv. Das entnehme ich Gesprächen mit Gewerbetreibenden immer wieder. Die, die nach der Besorgung in der Apotheke noch bleiben wollen, verlagern das Eisessen mit den Kindern und den Kaffee mit der Freundin in die deutlich attraktiveren Seitenstraßen. Darüber hinaus steht der grundhafte Ausbau der Straße auf deren gesamter Länge an. Die Leute wissen das und zögern, jetzt noch eine Immobilie in dem Bereich anzumieten. Wohl wissend, dass die umfassenden Bauarbeiten eine Gründung und Ansiedlung erschweren. Die Tunnelbaustelle, die Wanderbaustelle der MVB zur Gleisbettsanierung und vielleicht auch der Onlinehandel tun aktuell ihr Übriges. Aber auch Immobilieneigentümer, die ortsunüblich hohe Mieten aufrufen, reduzieren mit dieser Strategie den Leerstand nicht.

Inwieweit ist es möglich, dass dieser Effekt durch die allgemeine Krisenlage im Einzelhandel durch den Onlinehandel, hervorgerufen wird?
Die Herausforderungen, die der Onlinehandel mit sich bringt, treffen meines Erachtens den Bäcker, den Fleischer und den Lebensmittelsupermarkt noch nicht direkt, wohl aber den inhabergeführten Fach- und Einzelhandel, den es hier vor Ort gibt. Inwieweit eine Adler Apotheke oder ein Optik Radke von den Entwicklungen im Onlinehandel betroffen sind, kann ich ad hoc nicht beurteilen.

Es könnte durch die Leerzüge und die Ansiedlung von minderwertigem Gewerbe ein so genannter Trading Down Effect, also die Niveauabsenkung des Umfeldes einsetzen. Wie stark sehen Sie die Gefahr und was bedeutet das für die Große Diesdorfer Straße?
Auf der „Diesdorfer“ hat der Trading Down Effect bereits eingesetzt – eine Entwicklung vom vollständigen Angebot (Bäcker, Fleischer, Friseur usw.) hin zu zunehmenden Leerständen und ausbleibender Kundschaft. Auch bereits vermietete Gewerbeeinheiten, deren Nutzung nicht zur Nachfrage und zum Angebot des Standortes passt (Sportwettenanbieter, Spielhallen), ist ein Problem. Die Chance ist groß, dass auch hier potenziell künftig Leerstand entsteht. Leerstände wirken sich negativ auf das Umfeld aus und erzeugen in der Folge noch weitere Leerstände. Langfristig schwächt das die Straße dann in ihrer Funktion als Zentrum und eben auch als sozialer Raum, in dem man sich begegnet, mal den Nachbarn an der Kasse trifft usw. Man hat dort dann nichts mehr „zu erledigen“, der Bereich verödet.

Hat die zersplitterte Eigentümerstruktur einen Einfluss?
In der Tat. Wir als Geschäftsstraßenmanagement versuchen, mit den Eigentümern in Kontakt zu sein und auch zu bleiben. Sei es direkt oder über den Umweg einer Hausverwaltung. Man kennt uns. Aber Eigentümergemeinschaften oder große Immobilienkonzerne, die ihren Hauptsitz zum Beispiel in Aachen haben, sind für uns nur schwer zu fassen. Das Interesse an dem Standort ist meist eher gering und erschwert eine gemeinsame Strategie. Die bräuchte es aber, um die „Diesdorfer“ als Wirtschaftsstandort und lebendiges Zentrum zu stärken oder gar zu retten. Wenn die Eigentümer vor Ort sind oder gar in ihrer eigenen Immobilie noch ein Gewerbe betreiben, wie z.B. bei Gert Fiedler von der Adler-Apotheke, ist es viel einfacher, „gemeinsame Sache“ zu machen. Ihr Interesse hört nicht vor der Ladentür auf.

Was sind mögliche Gegenmaßnahmen?
Es müssen mehrere Maßnahmen ergriffen werden, denn der Leerstand hier hat verschiedene Ursachen. Um das richtige Gegenmittel zu finden, müssen die einzelnen Gründe sehr differenziert betrachtet werden, sonst setzt man aufs falsche Pferd und investiert an der falschen Stelle. Struktureller Leerstand lässt sich nicht mit einem teuren Umbau beheben, vielleicht aber mit einer sinnvollen Zwischennutzung. Eine gute Analyse des Ist-Zustandes bildet die Basis für alle weiteren Schritte. Diese ist teilweise im Rahmen eines integrierten Handlungskonzeptes für Stadtfeld Ost und West schon erarbeitet worden. Eine gemeinsame Strategie, die im Zusammenwirken von Immobilieneigentümern, der Verwaltung, Förderinstitutionen und den Gewerbetreibenden verfolgt wird, wäre ein guter Ansatz, um Zuzug und Wachstum wieder zu begünstigen. In Buckau zum Beispiel wurden Gewerberäume in den weniger frequentierten Lagen im ersten Jahr zum Nebenkostenpreis oder einem symbolischen Mietpreis vergeben. Das wäre auch eine Lösung für Stadtfeld. Wenn eine Immobilie für die vorgesehene Nutzung nicht geeignet und eine Umnutzung zu teuer ist, muss über alternative Konzepte nachgedacht werden. Warum nicht mal eine Tagesmutter oder ein kleiner Sportverein als Mieter? Auch die beleben das Umfeld und sind allemal besser als „tote Augen“ in einer Einkaufsstraße. Dazu müssen aber Anreize für die Eigentümer geschaffen werden. Manchmal reicht ein gutes Gespräch, um die Bereitschaft zu steigern, neue Wege zu gehen. Manchmal muss man ganz klar über Geld reden. In jedem Fall, müssen die Eigentümer am Standort mehr eingespannt werden.

Wie wirkt speziell das Geschäftsstraßenmanagement dagegen?
Wir steuern ein paar Prozesse, können aber auch ganz allein den jetzigen Zustand nicht aufhalten. Wenn mich eine Standortanfrage erreicht, biete ich immer Flächen entlang der „Diesdorfer“ an. Wir vernetzen die Händler und suchen den Kontakt. Ich möchte das Wir-Gefühl stärken und daran erinnern, dass das Interesse für den Bereich nicht vor der eigenen Ladentür aufhören sollte. Künftig werden wir uns noch mal an die Eigentümer richten und eine gemeinsame Strategie anstreben. Mir ist es wichtig, dass die Gewerbetreibenden sich nicht allein gelassen fühlen, gerade auch, wenn die Durchhalteparolen langsam ausgehen. Der grundhafte Ausbau des Bereiches wird die Abwärtsspirale stoppen und die Situation langfristig wieder ins Gegenteil kehren. Ich glaube daran, dass sich der Bereich wieder zu einem belebten Zentrum entwickeln kann, wenn alle an einem Strang ziehen. Dafür bereiten wir hier gerade die Strukturen vor.

Wie schnell muss Ihrer Meinung nach gehandelt werden?
Sofort. Die jetzt sichtbaren Leerstände sind die Folgen, bereits vor Jahren getroffener Entscheidungen. Die Abwärtsspirale ist in vollem Gange. Leider verzögert sich der so nötige Umbau der Straße immer wieder mit dem Ende der Tunnelbaustelle. Solange dieser nicht fertig gestellt ist, geht es hier vor Ort nicht weiter. Was also tun bis dahin? Den Bereich ungesteuert sich selbst zu überlassen, wäre fatal und auch das falsche Signal an alle ansässigen Händler und Gewerbetreibenden. Politik und Verwaltung sollten auf diese Ausnahmesituation reagieren. Hierzu führen wir aktuell Gespräche. Die IG Stadtfeld e.V. hat sich gegründet, um die Kräfte der Gewerbetreibenden zu bündeln. Auch wenn der Verein noch ins Laufen kommen muss, ist er auch genau zu diesem Zwecke da. Hier sollten die Händler sich engagieren, wenn sie auch langfristig an ihrem Standort interessiert sind.

Wie stellen Sie sich die Zukunft der Großen Diesdorfer Straße vor?
Auf jeden Fall menschenfreundlicher. Im Moment ist hier alles für das schnelle Durchfahren gestaltet. Es braucht Querungsmöglichkeiten, barrierefreie Haltestellen, eine Verkehrsberuhigung, viel mehr Aufenthaltsqualität, Grün … Einfach Raum für Menschen. Zum sich Begegnen, sich Aufhalten und Flanieren. Der Radverkehr muss endlich einen Platz finden. Die wenigsten Nutzer des Stadtteilzentrums kommen mit dem Auto. Die Mehrzahl sind Anwohner aus der näheren Umgebung, die zu Fuß, mit dem ÖPNV oder dem Rad kommen. Für die ist bisher aber der wenigste Platz vorgesehen. Das Stadtteilzentrum hat keinen einzigen Fahrradbügel. Ich stelle mir in meinen kühnsten Träumen einen kleinen Boulevard vor. Kurzzeitparken, Bäume, ein kleines Café, auf dessen Terrasse man ein Eis essen kann. Die Menschen stellen ihr Fahrzeug ab und bewegen sich Stück für Stück durch die Geschäfte. Der Wocheneinkauf, der Besuch in der Apotheke, beim Friseur, ein Arztbesuch, ein kleines Mittagessen und später ein Eis, während man auf seine Hemden aus der Reinigung wartet. Bis zu diesem Szenario ist es ein langer Weg, der unbedingt gegangen werden muss, wenn das kleine Zentrum erhalten bleiben soll.

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