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Retrodepot: Leben und Arbeiten im Stadtfeld-Kiez

Ein Gesicht, das wohl viele Menschen mit Magdeburg-Stadtfeld verbinden, gehört Maria Henneicke. Die 36-Jährige hat das Retrodepot in der Lessingstraße 19 inne. Hier vertreibt die Stadtfelderin selbst geschneiderte Kinderkleidung, Stoffe, Geschenke zur Geburt, aber auch Kleidung für Damen, Schmuck, Keramik und Taschen, sowie andere ausgewählte Aufmerksamkeiten zum Weiterverschenken. Maria hat aber nicht nur ihren beruflichen Mittelpunkt im Kiez gefunden, auch lebt sie hier mit ihren drei Kindern. Über ihren beruflichen und persönlichen Werdegang sprach sie nun mit Anna Mydla von „Mein Stadtfeld“.

Maria Henneicke in ihrem Reich voller wunderbarer Stoffe, Muster, Farben und Selbstgenähtem – dem Retrodepot. Foto: Anna Mydla

Maria, Deine geschneiderten Stücke stehen für schöne Schnitte, wunderbare Stoffe und qualitativ hochwertige Handarbeit. Wie bist Du eigentlich zum Nähen gekommen?
Als ich noch Kind war, hat mir meine Oma bei ersten Näh-Projekten mit Nadel und Faden geholfen und mir bald auch an ihrer Nähmaschine mit Rat und viel Geduld zur Seite gestanden. Sie hat somit meinen Mut gefördert, umzusetzen, was ich mir in meiner Phantasie ausgemalt habe. Nicht alles wurde perfekt – aber alles hatte diesen Zauber, da es aus einem Fetzen Stoff zu einem Objekt wurde. Dann habe ich aus Lust am Selbermachen mit der Geburt meines ersten Kindes, das Nähen wieder angefangen und mich tatsächlich von Vorhaben zu Vorhaben gehangelt, die „Werke“ wurden zunehmend vorzeigbarer und ein großes Feuer in mir entfachte.

Wusstest Du schon früh im Leben was Du mal machen willst oder gab es eventuell andere Ideen für einen beruflichen Weg?
Die Frage „Was willst du denn mal werden?“, war die, die mir im Leben die meiste Panik durch den Körper spülte. Gefühlt gab es keinen Beruf der beinhaltete, was ich konnte und woran ich Spaß hatte. Ich habe nach dem Abi so manche Ausbildung und manchen Studiengang begonnen – nichts davon hat mich überzeugt und erfüllt, so dass ich mir hätte vorstellen können, damit meine Zukunft zu verbringen. Zum Glück entwickelte sich mein Leben dahin, dass ich früh eine Familie gründen durfte. Dieser Wunsch rangierte vor jeglicher Klarheit, was beruflich einmal aus mir werden sollte. Die Zeit mit meinem erst einen Kind, dann zwei und schließlich drei Kindern sowie die Unterstützung meiner Familie, gab mir den Freiraum mich auszuprobieren und mich fast unbemerkt dahin zu entwickeln, mein „Hobby zum Beruf zu machen“. Ich glaube tatsächlich, wir machen gut, was wir mit Liebe und Leidenschaft machen. Ich kann in meinem Laden – bis auf alles was sich am Schreibtisch abspielt – täglich machen, wofür mein Herz schlägt. Ich kann Erschaffen, mit Farben, Formen und Mustern spielen, schöne Produkte auswählen, von denen ich denke dass sie die Menschen erfreuen und ganz wichtig, kann mit Menschen im Austausch sein. Mittlerweile geht dieser Austausch zunehmend über die Beratung hinaus. Die Kunden schätzen, was ich mache und wie ich es mache, wir kommen ins Reden und werden Bekannte – somit gibt‘s zu Ware und Stoff, gleich noch einen Schnack am Zuschneidetisch und sowohl die Kundschaft, als auch ich, haben dann ein Lächeln im Gesicht. Dafür bin ich sehr dankbar!

Wie würdest Du Deinen beruflichen Weg bis hierher beschreiben? Hattest Du hilfreiche Menschen an Deiner Seite?
Ich empfinde meinen beruflichen Weg, wie in Magdeburg am ZOB in den Bus zu steigen und über Berlin, München, Australien, Indien, Grönland und russische Provinzen dann in der Lessingstrasse 19 im Retrodepot wieder auszusteigen. Na klar lagen mir einige Steine im Weg. Ich hatte nie wirklich Kapital zur Verfügung. Bin nach etwas Zeit über die Kleinunternehmer-Grenze gekommen, sollte 3000 Euro Umsatzsteuern nachzahlen, Etliches voraus zahlen. Hatte aber keine Rücklagen. Diese Rechnungen wird mein kreativer Kopf nie verstehen.

Ich habe immer reinvestiert. Fünf Mützen verkauft, dafür einen neuen Ballen Stoff bestellt. In kleinen Schritten wurde der Laden somit zu dem was er nun ist, ein schöner Fundus aus mit Liebe Ausgewähltem und Genähtem!

Ohne die Unterstützung meiner Familie, meines großen Freundes- und Bekanntenkreises, unfassbar lieben Kunden und manch einsichtiger Sachbearbeiterin oder wohlwollendem Steuerberater, wäre ich nicht an dem Punkt, an dem ich heute bin. Zum Glück begegneten mir immer die Unterstützer, die in den jeweiligen Momenten nötig waren!

Das Retrodepot feierte in diesem Jahr bereits sein siebtes Bestehen, wenn Du jetzt auf die vergangenen Jahre zurückblickst, wie hat sich der Laden entwickelt und was hat Dich am meisten bewegt?
Als ich den Laden am 11. Januar 2011 in der Immermannstrasse eröffnete, wuselten meine Kinder, damals acht,sechs und drei um mich herum und wir hatten die Stoffe, die zuvor in meinem Arbeitszimmer auf dem Lande in einem Regal lagen, einsortiert und ein paar genähte Teile, die ich vorproduziert hatte, auf ein, zwei Kleiderständer gehängt. Es war sehr klein und übersichtlich und auch nur an zwei Tagen geöffnet. Mit den Jahren kam dann die schleichende Entwicklung. Die Nachfrage wurde größer, das Genähte und die Stoffballen mehr. Die Arbeitszeit musste verlängert werden, liebe Angestellte wurden nötig und irgendwann dann auch eine größere Ladenfläche. Rückblickend bewegt mich am meisten, dass tatsächlich immer dann, wenn Unterstützung oder Veränderungen nötig war, diese quasi schon parat standen. Hätte ich damals gewusst, dass ich mich einfach nur einlassen muss und sich dann alles fügt, ich hätte manch schlaflose Nacht weniger gehabt.

Angefangen hast Du mit selbst geschneiderter Kinderkleidung, was umfasst Dein Angebot heute? Und wonach stöbern Kunden am liebsten bei Dir?
Ja, auch gerade ist der Laden schon wieder an einem Punkt, wo jeder Quadratzentimeter gut ausgefüllt ist. Ich habe mittlerweile ein stattliches Angebot an schönen Stoffen und auch Nähzubehör, für die, die selber nähen. Ich habe genähte Kleidung und Accessoires für Kinder und Damen und ja, auch die Herren scharren schon mit den Füßen und liegen mir mit ihren Wünschen nach Herrenkleidung in den Ohren. Außerdem gibt es ausgesuchtes (Holz-)Spielzeug, Kissen, Barfußschuhe, Schmuck, Keramik, Taschen, Papeterie und manch anderes, was mich begeistert und was ich nach Magdeburg bringen möchte. Was davon am beliebtesten ist, ist schwer zu sagen. Eigentlich, irgendwie alles!

Jersey, Sweat und weiches Mischgewebe, die Stoffe, die bei Dir zu finden sind, fühlen sich nicht nur angenehm an, sie sind mit ihren Mustern von Tieren, Früchten, Fabelwesen oder schönen Grafikmustern auch ein echter Hingucker. Manche scheinen regelrecht Geschichten zu erzählen. Wo findest Du nur diese wunderbaren Stoffe?
Die Stoffe zu finden ist nicht die Herausforderung. Das geschieht ganz banal auf Messen oder bei Händlerbesuchen. Ich glaube, mein Geschick ist es Farb- und Musterkombinationen zu fühlen und die Phantasie zu haben, mir die Stoffe, die auf einer Messe als Fünf-mal-fünf-Meter-Lasche präsentiert werden, schon als fertiges Objekt vorstellen zu können. Worin ich mir treu bin ist, nicht wirklich mit einem Trend zu gehen! Ich kaufe ein, was mir gefällt, woraus ich mir vorstellen kann, schöne Sachen zu nähen. Der Laden ist quasi eine Fläche, auf der ich die schönen Stoffe mit den Kunden teile. Somit behält der Laden immer meine Handschrift, was mir sehr wichtig ist!

Was steht den Rest des Jahres noch an im Retrodepot, gibt es Spezielles vielleicht im Hinblick auf die herannahende Weihnachtszeit?
Nach dem Sommerurlaub beginnt bei mir immer schon die leichte Panik, dass „gleich“ Weihnachten ist. Das ist für mich die herausfordernste Zeit im Jahr. In der Woche der Laden, am Wochenende Weihnachtsmärkte, gekrönt von dem Wunsch auch Familienzeit zu haben. Meist sortiert sich alles so, dass es gut ist und die Aussicht, dann zu Beginn des neuen Jahres wieder etwas langsamer machen zu können, ist eine Gute! Wie es aktuell aussieht, werde ich auch in diesem Jahr wieder bei den Weihnachtsmärkten in der Festung Mark und auf dem Moritzhof vertreten sein. Wer ganz sicher sein möchte, kann mir gern auf Facebook oder Instagram folgen, dort teile ich, was es im RetroDepot Neues gibt und was außerdem wissenswert ist.

Das Retrodepot ist für viele auf jeden Fall untrennbar mit dem Kiez verbunden. Neben Deinem beruflichen Mittelpunkt hast Du auch Deinen persönlichen in Stadtfeld, lebst mit Deiner Familie hier. Was macht für Dich und Deine Liebsten die Lebensqualität von Stadtfeld aus?
Ich wohne, bis auf kurze Ausflüchte, seit ich 16 bin in Stadtfeld. Könnte etwas übertrieben sagen, ich kenne jede Straße, jedes Gesicht, jeden Sticker am Laternenmast. Ich komme gar nicht wirklich auf die Idee zu fragen, warum ich hier lebe. Ich liebe Stadtfeld. Mag das vertraute Miteinander, das daraus resultiert, dass mein Alltag nahezu komplett hier geschieht. Ich gehe hier zum Bäcker, zur Arbeit, die Kinder steigen fast vor dem Haus in die Bahn für ihren Schulweg, ich radele in den Laden, danach zum Einkaufen, winke bekannten Passanten und wenn die Kraft noch reicht, treffe ich nach Laden und betreuten Hausaufgaben, noch Freunde auf der Wiese oder wir kehren in eine Kneipe ein oder lauschen einem kleinen Konzert. Stadtfeld hat für mich alles, was meine Lebensqualität ausmacht. Hier fühle ich mich wohl!

Gibt es etwas was Dir (Euch) im Kiez noch fehlt zum Glück?
Bestimmt gibt es den ein oder anderen, dem darauf eine Antwort einfällt, mir nicht. Ich bin immer beeindruckt über die vielen, tollen Menschen, die in dieser Stadt (natürlich auch über Stadtfelds Grenzen hinaus) mit ganz viel Engagement Sachen aus dem Boden stampfen und bewegen. Über all das, was entsteht freue ich mich! Seien es bessere, breitere, neuere Radwege, mehr Mülleimer für Hundekot, weniger sinnlose Schmiererei, die nichts mit Streetart zu tun hat – vieles darf sich noch entwickeln und trotzdem kann ich für mich sagen, ich mag Stadtfeld, so wie es ist!

Kreative, selbstständige Geschäftsfrau und Mutter – Du hast ziemlich viel Verantwortung. Woher nimmst Du immer wieder Deine Energie, was brauchst Du zum Auftanken?
Puh, das ist eine ganz schön intime Frage. Ich habe das Gefühl, dass es wie ein Kreislauf ist. So wie ich Kraft und Liebe in das Begleiten meiner Kinder stecke, so erhalte ich wiederum auch Kraft aus deren Liebe und meiner Freude darüber, wie gut und sicher sie ihren Weg gehen.

Die Energie meine Arbeit in der Art zu machen wie ich es mache, kommt zu einem großen Teil daher, fast jeden Morgen dankbar in den Laden zu kommen und mich zu freuen, dass ich nun für sechs oder acht Stunden zum Ausdruck bringen kann, was mir Freude macht und womit ich auch meinen Kunden Freude bereiten kann. Die Wertschätzung meiner Arbeit durch die Kunden spielt dabei auch eine ganz große Rolle!

Außerdem habe ich vor einiger Zeit zu Yoga und Meditation gefunden und somit zu der Erkenntnis, dass, wenn in mir Frieden ist, alles gut ist. Somit steht für mich an vorderster Stelle gut und achtsam für mich zu sorgen, damit ich dann auch Gutes weitergeben kann.

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