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Lieber weit weg, als zu Hause begraben

Der Stadtfelder Olaf Kirmis hat mit Basel Mouselli, einem jungen Syrer der 2015 aus seiner Heimat floh, ein Buch über die Flucht-Erfahrungen des jungen Mannes und die gemeinsamen Erfahrungen mit Behörden in Magdeburg herausgebracht. Über diese interkulturelle Zusammenarbeit, die daraus entstandene Freundschaft und natürlich das Buch sprachen beide mit Anna Mydla von „Mein Stadtfeld“.

Basel Mouselli & Olaf Kirmis

Olaf Kirmis aus Magdeburg (l.) hat gemeinsam mit Basel Mouselli ein Buch über die Fluchterfahrungen des Syrers geschrieben. Foto: Anna Mydla

Olaf Kirmis, als die Flüchtlingskrise sich 2015 so recht entfaltete und für ordentliche Stammtischparolen sorgte, entschieden Sie zu helfen. Was hat Sie dazu bewegt, was waren Ihre Erwartungen?
Also da war natürlich der Wunsch zu helfen – einerseits. Andererseits war da das Interesse, das zu hinterfragen, was über die besagten Stammtischparolen verbreitet wurde. Ich wollte einfach mehr wissen, ich wollte präpariert sein und mitreden können, weil mir schon mein Gefühl sagte, dass diese an den Tag gelegte Hysterie völlig überzogen sein musste. Nur dazu brauchte ich „Beweise“ und zwar zunächst für mich selber.

Sie beschreiben diese Zeit als eine Phase, in welcher Sie sich gefühlt in einem Doppelleben befanden, was ein bisschen befremdlich anmutet. Wie haben Sie den Spagat geschafft – und wie die beiden Leben wieder zusammen geführt?
Ein Doppelleben im Sinne zweier verschiedener Identitäten war es sicher nicht. Und auch die „zweite Schicht“ im Sinne des betriebenen Aufwandes nach der Arbeit machte eigentlich nicht das Doppelleben als solches aus. Zumindest nicht ausschließlich. Aber man ist in diesem Moment unmittelbar auch in die Lebenswelt der Flüchtlinge getreten. Das heißt, ich habe ja auch die Kommunikation in die Heimat mitbekommen, die Tränen die geflossen sind. Ich habe mit dem Vater in Aleppo telefoniert (der ein sehr gutes Deutsch spricht), welcher mir erzählte, dass zwei Kilometer von seinem Haus entfernt heftige Kämpfe stattfinden und der uns nach Aleppo eingeladen hat, „wenn das Ganze hier mal vorbei ist“. Ich habe die Wut, Hilflosigkeit und Trauer von Basels Bruder Hussein mitbekommen, als sein Studienfreund in Aleppo durch eine Granate ums Leben kam. Da war es schon emotional sehr schwer wieder in einen Büroalltag zu treten, dessen Probleme in diesem Moment ein unwahrscheinliches Maß an Banalität bekamen. Am Ende war es eigentlich kein Spagat mehr, weil – so muss man es vielleicht bezeichnen – beide Leben ineinander übergingen. Dazu beigetragen haben natürlich meine Schützlinge in erster Linie selber, da sie bei allen Problemen einen ungeheuren Optimismus, eine Lebensfreude und Lebenslust an den Tag legten, wie er nun mal jungen Menschen eigen ist.

Sie waren fast 15 Jahre Spieler und Autor im Kabarett „Prolästerrat für Studien un gelegenheiten“ der Otto-von-Guericke Universität in Magdeburg und sind seit 2006 Mitautor für das Kabarett „Magdeburger Zwickmühle“ – bei ihrer ganzen Erfahrung mit spitzzüngiger Darstellung von deutscher Bürokratie, wie beschreiben Sie die Erfahrungen mit den verschiedenen Behörden, die Sie durch die Begleitung von Basel, seinem Bruder Hussein und Mamdouh gemacht haben?
Es ist ja wirklich nicht so, dass ich noch nie mit Bürokratie in Kontakt war. Jeder hat ja in seinem Alltag mehr oder weniger damit zu tun. Die Besonderheit und der krasse Gegensatz bestanden hier ja vor allem auch in dem Spannungsfeld zwischen dem Kampf um ein Papier, eine Beglaubigung, eine Anerkennung etc. und dem tatsächlichen Kampf in ihrem Heimatland.

Für die Flüchtlinge hieß das oftmals, dass sie für Behördengänge ihre Sprachkurse unterbrechen mussten und da war weiß Gott nicht jeder Weg zum Amt sinnvoll.

Aus den Erfahrungen von ihnen beiden, Basels Flucht durch halb Europa und ihre Unterstützung hier, ist nun das Buch „Notausgang. Ein Flüchtlingsdrama in mehreren Büroakten“ erschienen. Warum würden Sie dieses Buch Menschen ans Herz legen?
Weil, um vor allem bei dem Teil von Basel zu bleiben, sein Bericht sehr authentisch, sehr ehrlich und emotional ist. Weil es Brücken bauen kann zu Menschen, die unsicher sind im Umgang mit den Flüchtlingen. Die, die sowieso nicht wollen, werden das Buch nicht lesen. Aber die, die sich gewissermaßen ran tasten wollen, für die kann es eine Einstiegshilfe sein. Man kann ja sehr schnell feststellen, dass es genauso Menschen sind wie wir, mit denselben Träumen, Wünschen, Ideen, denselben Problemen und denselben Flausen im Kopf.

Und dann ist es vielleicht auch die Mischung, die dieses Buch lesenswert macht. Der erste Teil etwas traurig und der zweite Teil, na ja, ein bisschen lustig. Und teuer ist es auch nicht.

Sie haben durch Begleitung von Basel und ihre gemeinsame Arbeit an dem Buch einen Einblick in sein Leben in seiner syrischen Heimatstadt Aleppo, seiner Flucht nach Deutschland bekommen – was hat Sie an Basels Geschichte am meisten bewegt?
Die ganze Geschichte als solche hat mich sehr bewegt und zwar deshalb, weil ich die Geschichte auf meinen 24-jährigen Sohn projiziert habe. Weil schon die Vorstellung, mein Sohn müsste in einem Bürgerkrieg als Schlachtvieh für ein paar durchgeknallte Warlords oder Präsidenten herhalten, für mich unerträglich war. Weil ich die Eltern verstehen konnte, die ihn lieber weit weg lebend haben wollten, als zu Hause begraben. Die Vorstellung so etwas müsste doch alles irgendwie geregelt ablaufen, davon habe ich mich verabschiedet. Sollte mein Sohn jemals in so eine Situation kommen, würde ich alles, aber auch alles tun, damit er da rauskommt. Einschließlich Bestechung. Da kann man moralisierend den Finger heben, aber ein „Heldentot“ lässt sich nun mal nicht rückgängig machen. Das scheint in unserer heilen Welt eine akademische und zugespitzte Formulierung zu sein, wo wir doch in relativ geordneten Verhältnissen leben. Für das Verständnis der handelnden Personen halte ich sie aber für unabdingbar, sich mal in diese Situation zu versetzen.

Sie schreiben in dem Buch, dass Sie die Neuankömmlinge auf den höchst eigenwilligen Charme des Magdeburgers als solchen vorbereiteten. Bitte beschreiben Sie diesen Charme etwas genauer.
Den besonderen Charme hätte ich als Ur-Magdeburger persönlich vielleicht selber nicht erkannt, wäre meine Frau nicht aus dem Vogtland und würde mich nicht immer wieder mit demselben konfrontieren. Böse Zungen behaupten ja, der Magdeburger fragt nur ob es einem gut geht, wenn er es wirklich wissen will. In der Tat ist es für die Menschen aus dem arabischen Raum sowieso schon schwer, die Direktheit der deutschen Sprache zu ertragen. Wird doch bei ihnen gerne ausgiebig und weitschweifend erzählt und erklärt, bevor man nach einem Tee zum Kern des Problems kommt. Die Magdeburger Mundart, äußerst sparsam eingesetzt, und ohne dabei die Miene zu verziehen, kann schon anstrengend sein. Wobei der Magdeburger wahrscheinlich überhaupt nicht versteht, warum seine Herzlichkeit nicht als solche verstanden wird.

Das spannende am Kennenlernen von Menschen aus anderen Ecken dieser Welt sind ja auch die jeweiligen Gepflogenheiten, auch wenn das Manövrieren derweil etwas holprig werden kann – von welchen interkulturellen Missverständnissen sprechen Sie in ihrem Buch?
Nun da gibt es zunächst das Missverständnis bei unserem ersten Treffen, als unsere Kekse auf dem Tisch nicht angerührt wurden. Einmal auffordern reicht eben nicht, mindestens dreimal muss es schon sein, sonst greift keiner zu. Das gehört sich eben nicht. Ebenso, als sie sich von unserer ersten Weihnachtsfeier verabschieden wollten. „Wir gehen dann mal!“, ist eigentlich die Aufforderung an den Gastgeber er möge darum bitten, doch noch zu bleiben. Das Spiel wiederholt sich in der Regel einige Male. In unserem Falle wurde die Bemerkung von unserem Sohn mit einem knappen „Okay“ beantwortet und sie gingen etwas konsterniert. Das hat im Nachhinein für herzhaftes Gelächter gesorgt. Zeitvorstellungen klaffen gelegentlich etwas auseinander und mal „kurz vorbeikommen“ um mal „schnell was zu besprechen“ geht im Allgemeinen kaum. Das sind Erfahrungen, wo es gar nicht darum geht, dass man alles gut findet, aber so reflektiert man natürlich auch die eigene Lebensweise, die bei uns mitunter so fürchterlich effizient und durchorganisiert ist.

Welche persönlichen Erkenntnisse haben Sie für sich gewonnen durch die Begleitung von Basel und seiner Familie und hat es irgendwie ihre Sichtweise verändert oder schlägt sich in ihrem Alltag nieder?
Es hat sich eigentlich alles geändert, denn de facto sind sie alle Bestandteil unserer Familie geworden. Es gibt kaum ein Tag, wo wir keinen Kontakt haben. Aber auch sonst hat sich vieles verändert. Es war (und ist) eine ausgefüllte Zeit, die auch sehr lehrreich für mich war. Und vielleicht noch eine Erkenntnis: Abschied sollte man vielleicht auch von der Vorstellung nehmen, dass das Leben in Deutschland von den Flüchtlingen als ein allseits glücklich machendes Lebensmodell gesehen wird, dem es in jedem Falle nachzueifern gilt. Das ist es bei weitem nicht. Es ist zunächst mal ein Überlebensmodell für das sie dankbar sind, dass ihnen aber auch einiges abverlangt. Die Sehnsucht nach Heimat und Familie ist groß und so die nötige Sicherheit gegeben ist, würden viele gerne wieder in die Heimat.

Basel Mouselli, Sie beschreiben Ihre Flucht aus Syrien über den Libanon, die Türkei, per Boot über die Ägäis, nach Griechenland und weiter über Mazedonien, Serbien, Ungarn nach Deutschland, welche Eindrücke dieser Reise werden Sie nie vergessen?
Vor allem der Abschied von meiner Familie, besonders meinem kleinen Bruder, kann ich nicht vergessen. Aber es waren auch die körperlichen und psychischen Belastungen, während der Flucht. Vor allem der Umgang mit uns in den verschiedenen Ländern ist unvergesslich. Ich werde nicht vergessen, wie ein griechischer Polizist mich als Tier (Animal ) bezeichnet hat. Körperlich bin ich gesund aber seelisch hat es natürlich Spuren hinterlassen.

Basel, Sie beschreiben im Buch wie Sie auf ihrer Flucht in der Türkei, schöne Städte und Dörfer, ja friedliches Leben sahen und diese Bilder Schmerz verursachten. Welche Umstände in ihrer Heimatstadt haben Sie davon getrieben? Was mussten Sie dafür hinter sich lassen?
Wenn man nicht getötet werden will oder selber töten will, muss man gehen. Und diese Entscheidung war gleichzeitig nicht meine Entscheidung sondern die Entscheidung der Politiker, die die Idee des friedlichen Lebens nicht akzeptierten und den Krieg verursacht haben. Vielleicht sind wir als Flüchtlinge ein Druckmittel um politische Interessen zu verwirklichen. Aus diesem Grund musste ich meine Eltern, meinen kleinen Bruder, meine Freunde und mein Leben hinter mir lassen. Ich hatte in Aleppo alles was ich brauchte. Ich wäre gerne geblieben.

Wie sieht Ihr Leben derzeit aus und wie lauten Ihre Pläne für die Zukunft?
Mein Traum nach der Flucht war einfach ein normales Leben zu haben aber das konnte ich noch nicht vollständig verwirklichen. Ich erlebe immer auch noch die Diskriminierung, den Rassismus und ich habe furchtbar Heimweh. Zurzeit studiere ich in einem Masterstudiengang an der Universität aber ich möchte noch lieber eine Arbeitsstelle finden. Aber hier in Magdeburg ist es sehr schwierig, ja fast unmöglich. Ich schreibe an einem neuen Buch und das möchte ich zu Ende bringen.

Den von Olaf erwähnten eigenwilligen Charme des Magdeburgers, wie haben Sie diesen wahrgenommen?
Wenn ich die Frage richtig verstanden habe, kann ich sagen, dass eine Stadt wie Magdeburg einen großen Platz in meinem Herzen hat. Die Elbe, die alten Gebäude, der Dom und Familie Kirmis machen für mich Magdeburg lebenswert, wenn ich schon meine Eltern in Aleppo lassen musste. Aber ich lebe optimistisch, weil ich viele verschiedene Personen kennengelernt habe, die mir geholfen haben. Das kennenlernen eines Magdeburgers ist manchmal etwas schwierig und er ist nicht immer leicht zu verstehen. Aber mich verstehen sie ja auch nicht immer. Manchmal wirken sie nicht sehr freundlich. Aber wenn man sie genauer kennenlernt, merkt man, dass sie meistens doch sehr freundlich sind – auf ihre Art.

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