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Heimatgeschichte: Die Brandkatastrophe in der Wilhelm-Raabe-Straße

In einer Serie erinnert „Mein Stadtfeld“ an ausgewählte Persönlichkeiten, die auf dem Magdeburger Westfriedhof ihre letzte Ruhestätte fanden. Unter den ca. 80 Ehrengrabstellen auf dem Westfriedhof befindet sich die letzte Ruhestätte für drei Feuerwehrleute. Die Retter fanden vor bald 100 Jahren den Tod bei der Ausübung ihres Berufes.

Historisches Foto der Feuerwehr Magdeburg

Anfänglich waren die Kameraden noch mit Pferden im Einsatz, später wurde stadtweit auf Benzin- und Elektrofahrzeuge umgerüstet. Postkarte vom Alarm in der Hauptwache Magdeburg („Aus 50 Jahre Magdeburger Berufsfeuerwehr“, herausgegeben von der Branddirektion, 1. Juli, 1924). Repro: Karl-Heinz Kaiser

Von Karl-Heinz Kaiser

Westfriedhof, dieser Tage: An einer nahe der Feierhalle gelegenen Grabanlage sind mitunter junge Leute anzutreffen. Sie erledigen Pflanzarbeiten, säubern das Umfeld. Es sind Mitglieder der Jugendfeuerwehr Diesdorf. Auf drei Grabplatten sind die Namen Wilhelm Heuer, Gustav Krappe und Friedrich Claus zu lesen. Wer näher herantritt erfährt, dass es sich um Feuerwehrleute handelt, die 1923 bei der Ausübung ihres Berufs tödlich verunglückt sind. Der damalige Magistrat hat ihnen das Grab gewidmet.

„Die Jugendfeuerwehr hat es übernommen, die Grabstätte zu pflegen, die Erinnerung an die drei mutigen Kameraden wach zu halten“, weiß Horst Weigand zu erzählen, Feuerwehroffizier im Ruhestand und Kenner der Geschichte des Feuerwehrwesens, in einem Gespräch mit „Mein Stadtfeld.

19. Mai 1923, Wilhelm Raabe-Straße in der Wilhelmstadt: Aus einem der Häuser dringt Rauch. Die Berufsfeuerwehr ist bereits alarmiert. Bald trifft ein Löschzug aus der Hauptwache Kölner Straße, heute Ernst-Reuter-Allee/Ecke Brandenburger Straße, ein. Löschzugführer Werner, Oberfeuerwehrmann Schmidt, die Feuerwehrmänner Becker, Claus, Czech, Friedenreich, Heuer, Krappe und Wagener dringen in das verqualmte Treppenhaus des Hauses mit der Nummer sechs ein.

Noch deutet nichts darauf hin, dass dieser Einsatz ein tragisches Ende nimmt.

Der Feuerwache Mitte war an jenem Tag, einem Pfingstsonnabend, das Feuer im Bodenraum gemeldet worden. Es hieß, dass sich dort Magnesiumbehälter befinden. Den Feuerwehrmännern gelang es zunächst, einige dort lagernde Behälter aus der Gefahrenzone zu bringen.

In einem Zeitungsbericht vom 19. Mai 1923 wird der weitere Verlauf so geschildert: Es sei versucht worden, „das Feuer an einer bereits brennenden Magnesiumkiste mit Sand und Decken zu ersticken. Die Kiste wurde mit Wasser gekühlt. Das Feuer in der Kiste aber zerfraß schließlich den Blecheinsatz und den Holzboden. In der Folge bildete sich Knallgas, es gab eine starke Explosion.“ Acht der an der Brandstelle arbeitenden Feuerwehrleute wurden durch den gewaltigen Luftdruck in das Treppenhaus geschleudert und von den Stichflammen verletzt.

Die tragische Bilanz: Drei der insgesamt acht schwer verletzten Feuerwehrmänner, Wilhelm Heuer (27. Mai 1923), Gustav Krappe (29. Mai 1923) und Friedrich Clauß (20. Juni 1923), verstarben wenige Wochen später im Krankenhaus.

Seit Gründung der Berufsfeuerwehr im Jahr 1874 waren zuvor schon in Ausübung ihres Berufes die Feuerwehrmänner H. Hebenstreit (1892) und A. Hamann (1912) ums Leben gekommen. „Das Ereignis in der Wilhelmstadt übertraf alle vorangegangenen Unglücke unter den Rettern selbst“, sagte Horst Weigand. Der heute 88-Jährige war bis zum Altersruhestand 1990 Hauptmann der Feuerwehr und in seiner Dienstzeit verantwortlich für den gesamten operativen Einsatz der Magdeburger Feuerwehr.

In seiner Freizeit beschäftigt er sich mit der Magdeburger Feuerwehrgeschichte, er war viele Jahre lang Vorsitzender der AG Feuerwehrhistorie im Stadtfeuerwehrverband. „Die Feuerwehr hatte die Stadt vielfach vor Schaden und Menschen vor dem Verletzungen und Tod bewahrt. Das tragische Schicksal der Retter bewegte damals die Stadt“, weiß er aus den Recherchen.

Oberbürgermeister Hermann Beims selbst würdigte mehrfach die Feuerwehrmänner. Bei einem Festakt im Mai 1924 anlässlich des 50. Gründungsjahres der Magdeburger Berufsfeuerwehr verwies er auf bis dahin 8825 bekämpfte Brände und würdigte den Mut aller bis dahin im Einsatz gewesenen Feuerwehrmänner.

Er verwies zugleich auf ihre gefährliche Arbeit für das Gemeinwohl und auf neue Herausforderungen. „Durch den Weltkrieg sei „eine Reihe neuer Erfindungen gemacht worden, deren Auswirkung die Explosionsgefahr gesteigert hat“, wird er in einem Zeitungsbericht zitiert. Beims wörtlich: „Diese ungeheuren Gefahren hat man bei dem Brand in der Wilhelm-Raabe-Straße gesehen. Ich habe die acht schwer verletzten Feuerwehrleute im Krankenhaus besucht. Der Eindruck wird mir nie entschwinden. Drei haben ihr Leben geben müssen, die fünf anderen sind lebenslänglich Invaliden geworden.“

Das Unglück in der Wilhelm-Raabe-Straße verdeutlichte auch, dass die stetige Weiterentwicklung des Feuerwehrwesens (wie auch heute noch) eine fortwährende dringliche Aufgabe war. Laut Horst Weigand begann 1874 die Berufsfeuerwehr mit 49 Männern und fünf Geräten/Einsatzwagen. In der Hauptfeuerwache waren 13 Pferde vorhanden, die der Bespannung der Einsatzfahrzeuge dienten. Die Schnelligkeit als wesentlicher Einsatzfaktor war noch eingeschränkt. „Die 1910 errichtete Feuerwache III in der Nachtweide war dann schon mit modernen Elektrofahrzeugen ausgerüstet. Die komplette Umstellung auf Benzin- und E-Fahrzeuge war 1923 stadtweit abgeschlossen“, sagte Weigand.

Mit Gründung der Berufsfeuerwehr war ein auf Elektrizität und Telegrafie basierendes Feuermeldenetz eingerichtet worden. Es umfasste zunächst sechs Fernmeldelinien, die in der Hauptfeuerwache zusammen liefen. Die Linie sechs war Stadtfeld. Der erste Feuermelder befand sich an der Olvenstedter Straße 1 bei Brandenburger, der nächste in der Großen Diesdorfer Straße 1 bei Bitterling. Es folgten Melder in der Kleinen Diesdorfer Straße 3 bei Müller, in der Großen Diesdorfer Straße 16 bei Schwarz, in der Olvenstedter Straße 19 bei Denecke und an der Ebendorfer Straße 19 (Bierhalle). In der gesamten Stadt waren zunächst insgesamt 42 öffentliche Feuermeldestationen und 12 Sprechmorsestationen installiert, um die Jahrhundertwende dann 90.

„Mit einem Feuermelder auf 1349 Einwohner stand Magdeburg sogar an der Spitze im Vergleich zu anderen Städten“, erklärte Horst Weigand. Ab 1905 bis 1911 wurde das System auf neuen technischen Stand gebracht und in nunmehr zehn Fernmeldeschleifen die Stadtteile erfasst. 1924 gab es 103 öffentliche Straßen-Feuermelder, 49 Privatmelder und 17 Telefonmelder.

Die Feuerwehr-Chronik der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vermerkt einige Großbrände in der Wilhelmstadt. Am 30. März 1902 brannte der Lagerkeller der Lackfabrik Bahr, Große Diesdorfer Straße 185. Die Färberei und Reinigungsanstalt Karutz, Große Diesdorfer Straße 185; ging am 5. April 1904 in Flammen auf. Fünf Feuerwehrleute wurden bei den Löscharbeiten schwer verletzt.

Die schlimmsten mit Bränden verbundenen Zerstörungen ereigneten sich im zweiten Weltkrieg. In Wilhelmstadt stark betroffen waren Gebäude im ältesten Siedlungsbereich, darunter in der heutigen Röntgenstraße.

Zu den größten Bränden in späteren Jahren gehört der Brand im still gelegten Schlachthof, als 1998 das Kühlhaus direkt an der Liebknechtstraße abbrannte. Im heutigen Stadtfeld wird bei Bränden die Berufsfeuerwehr der Feuerwache Nord aktiv. Bei Erfordernis werden die Freiwillige Feuerwehr Diesdorf (in Stadtfeld gibt es keine) sowie andere Wehren hinzugezogen, weiß Horst Weigand.

Mehr über die Geschichte Magdeburgs erfahren Sie im Magazin „Mein Stadtfeld“.

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